Parteienwettbewerb vor der Bundestagswahl im Spiegel des Open Expert Surveys

Autor:in

Michael Jankowski, Anna Kurella, Jochen Müller, Christian Stecker & J. Philipp Thomeczek

Veröffentlichungsdatum

14. Februar 2025

Der Open Expert Survey 2025

Nachdem die Idee mit dem Open Expert Survey zur Bundestagswahl 2021 erstmals ausprobiert wurde, gibt es nun auch zur kommenden Bundestagswahl einen OES2025. Erneut wurden Politikwissenschaftler:innen eingeladen, Fragen zur programmatischen Einordnung der Parteien und zum Parteienwettbewerb vorzuschlagen, die etablierte Items aus früheren Expertenbefragungen ergänzen. Daraus haben wir einen Fragebogen konsolidiert, den zum jetzigen Zeitpunkt 131 Kolleginnen und Kollegen vollständig ausgefüllt haben. Hier berichten wir erste Einblicke aus dem OES2025.

Die aktuellen Daten können als pre-release heruntergeladen werden:

Nach der Bundestagswahl wird der finale Datensatz einschließlich der Verknüpfung mit dem OES2021 und weiteren Expertenbefragungen zügig der Community zur Verfügung gestellt.

Die Positionen der Parteien

Wie schätzen unsere Expert:innen die Positionen der Parteien im zweidimensionalen Politikraum aus sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Themen ein? Die Abbildung präsentiert die entsprechenden Mittelwerte mit Konfidenzintervallen: Es zeigt sich das gewohnte Bild des deutschen Parteienwettbewerbs. Die meisten Parteien besetzen eine gedachte Diagonale vom linken unteren Quadranten (gesellschaftspolitisch progressiv + ökonomisch links) zum oberen rechten Quadranten (gesellschaftspolitisch konservativ + ökonomisch rechts). Bekannte Ausnahme ist die FDP, die marktliberale Politik mit progressiver Gesellschaftspolitik kombiniert. Neu ist das Angebot des BSW im oberen linken Quadranten: Die neue Gruppierung um Sarah Wagenknecht verbindet stärkere Umverteilungsforderungen mit konservativerer Gesellschaftspolitik.

Neben dieser Verortung auf abstrakteren Politikdimensionen bietet der OES einen Blick auf zahlreiche konkrete politische Streitfragen. Hier präsentieren wir die Mittelwerte der Experteneinschätzungen zu ausgewählten Streitfragen. Für einen zügigen Überblick sind Thementitel und Skalen nur äußerst verkürzt dargestellt. Die vollständige Frage und die entsprechende Skala werden als tooltip angezeigt, wenn man mit der Maus über eine Parteiposition geht.

Die folgende Abbildung öffnet eine Perspektive auf die Positionsverschiebungen der Parteien. Transparentere Punkte markieren die Positionen der Parteien zur Bundestagswahl 2021, nicht transparent die aktuelle Position. Deutlichere Verschiebungen zeigen sich für die AfD und FDP auf der sozioökonomischen Achse. CDU und CSU und Freie Wähler sind haben sich in der Expertenschätzung auf konservativere und merktliberalere Positionen verschoben. Im linken Lager fällt die progressivere Haltung der Linken auf, die vermutlich mit der Neusortierung zu tun hat, die mit der Abspaltung des BSW einherging.

Veränderungen von Positionen und Wichtigkeit einzelner Themen

Da der OES eine Wiederholungsbefragung ist und sich an vorhergehenden Expertenbefragungen orientiert, können die Parteipositionen auch im Zeitverlauf betrachtet werden. Betrachten wir zunächst die Änderungen im zweidimensionalen Politikraum.

Die folgende Abbildung blickt auf Positionsverschiebungen in ausgewählten Politikfeldern. Der Punkt markiert die Position in 2021 (für das BSW für 2025) während der Pfeil die Richtung und Stärke der Veränderung angibt. Mit Blick auf die Feindschaft gegenüber einer Elite nehmen AfD und das BSW die Spitzenposition ein. Eine deutliche Zunahme des Anti-Eliten-Sentiments zeigt sich bei den Freien Wählern und bei der CSU, während bei anderen Parteien wenige Verschiebungen zu beobachten sind. Beim politischen Konflikt über die Frage, ob Kompetenzen weiter vom Nationalstaat auf die EU verlagert werden sollen, hat sich wenig getan. Die AfD besetzt hier weiterhin das euroskeptische Ende, gefolgt vom Newcomer BSW. In der Klima- und Umweltpolitik zeit sich eine deutliche Rechtsverschiebung von CDU/CSU und FDP, während im linken Lager keine Änderungen zu verzeichnen sind. Eine deutliche Rechtsverschiebung ist fast flächendeckend beim Thema Migration zu konstatieren. Abgesehen von der Linken, hier vermutlich aufgrund der Neusortierung der Mitgliedschaft nach der BSW-Abspaltung, sind alle Parteien in der Einschätzung der Experten migrationsskeptischer geworden.

Die Experten haben 2021 und 2025 auch eingeschätzt, welche Bedeutung verschiedenen Themen für die Parteien beistzen. Offensichtlich hat die Wichtigkeit von Migrationspolitik vor allem für CDU/CSU und Freie Wähler zugenommen. Auch der FDP und SPD attestieren die Experten eine Bedeutungszunahme. Bei der AfD sahen die Experten die Wichtigkeit dieses Politikfelds schon 2021 nahe am Maximum. In anderen Politikfeldern ist weniger Bewegung. Im Vergleich betrachtet ist bemerkenswert, dass Zuwanderung nicht nur für die AfD, sondern auch für CDU, CSU, BSW und Freie Wähler als das wichtigste Thema gesehen wird.

Einschätzungen zur Brandmauer

Erstmals hat der OES auch Fragen zum Umgang mit der AfD gestellt, die gemeinsam mit Theresa Gessler, Sophia Hunger und Daniel Morgenstern entwickelt wurden. Demnach attestieren die Experten Grünen, Linken und mit etwas Abstand der SPD die geringste Bereitschaft bei inhaltlichen Sachfragen und Wahlen von Ämtern mit der AfD zu kooperieren oder AfD-Positionen zu übernehmen (die genauen Fragen werden wieder durch mouse-over sichtbar). Bei FDP, CDU und CSU sei diese Bereitschaft - so unsere Experten - größer. Die Ereignisse vom 29.1., bei dem ein CDU-Entschließungsantrag mit den Stimmen von FDP, BSW und AfD eine Mehrheit erhielt, fielen direkt in unsere Feldzeit. Die Befragten wurden am 17. Januar eingeladen und können ggf. nach wie vor die Umfrage beantworten. Dadurch haben einige Personen die Brandmauerfragen vor, andere nach dem 29.1. beantwortet.

Tatsächlich hat sich die Abstimmungsmehrheit zwischen CDU/CSU, AfD, BSW und FDP in den Experteneinschätzungen niedergeschlagen. Vor allem für die Union, aber auch für FDP und BSW sehen die Experten danach eine deutlich gestiegene Kooperationsbereitschaft mit der AfD.